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FIORI – Das Ende der SAP GUI?

Wir nehmen das Thema Digitalisierung im beruflichen Umfeld vollkommen anders wahr als im privaten Sektor. Meine Smartphone-Apps können mir in jedem erdenklichen Lebensbereich helfen. Ich kann nicht schlafen, – es gibt eine App, ich will abnehmen, – es gibt eine App, ich will Geld sparen, – es gibt eine App. Alles ist intuitiv, attraktiv dargestellt und so wundervoll fortschrittlich.
 
Beruflich gesehen reise ich hingegen oft gefühlt zehn Jahre in die Vergangenheit und bin schnell frustriert, wenn mir etwas veraltet vorkommt oder ich einen Klick-Marathon überwinden muss. Ich will eine höhere Individualität, mehr proaktives Mitdenken von meinem ERP und mehr Raffinesse. Ich bin schlichtweg von der digitalen Leichtigkeit im privaten Sektor verwöhnt.

FIORI, das neue Framework von SAP, wagt genau diesen Schritt. Das Versprechen: Nutzerindividuelle Eingabemasken und proaktive Systembenachrichtigungen gepaart mit einem durchdachten Look & Feel sollen die tägliche Arbeit mit SAP auf allen Endgeräten ermöglichen und vereinfachen.

Ich bin neugierig und will es genauer wissen. Dafür habe ich unseren Senior SAP-Consultant Wieland Berkholz getroffen. Welche Erkenntnisse ich hier gewinnen konnte, erfahrt ihr im folgenden Interview:

Sandra: Hallo Wieland, FIORI bringt im Vergleich zur klassischen SAP-GUI völlig neue Möglichkeiten. Was bedeutet das für die Key-User?

Wieland: Mit FIORI hat sich die SAP AG völlig neue Kundenfelder erschlossen. Neue Rollenkonzepte, kleinteiligere Prozesse und die intuitiven Oberflächen sprechen besonders die Unternehmen an, die vorher kein Interesse an SAP hatten. Zudem hat das doch recht arrivierte Programmiermodell unter der Programmiersprache ABAP sich für einen ganz anderen Kreis von Entwicklern geöffnet. Die technische Basis von Fiori ist SAPUI5, welches eine Art Erweiterung von Javascript ist. Javascript wiederum ist einer der gebräuchlichsten Programmiersprachen. Die Zahl von Lösungsanbietern für sehr spezielle branchenspezifische Prozesse wird sich dadurch erhöhen.

Inwieweit die FIORI-Apps den Marketingversprechungen folgend im jeweiligen Unternehmen einen entsprechenden Mehrwert liefern, hängt stark von Gegebenheiten innerhalb eines Unternehmens ab. Hierbei spielt die Frage, welche User wie tief mit dem System arbeiten, eine große Rolle. Ein Logistikunternehmen mit vielen mobilen Anforderungen rund um den Verpackungs- und Versandprozess wird beispielsweise einen größeren Nutzen aus FIORI ziehen als ein Ingenieurdienstleister im Projektgeschäft.

Sandra: Was bedeutet das konkret für Unternehmen?

Wieland: Im Rahmen einer Umstellung auf S/4 HANA, sei es durch einen Greenfield oder einen Brownfieldansatz, muss das Thema Fiori ganz klar in die Anforderungs- und Machbarkeitsanalyse einbezogen werden. So ist die Best-Practice-Library der SAP für die wesentlichen Standardprozesse eines Unternehmens ein sehr großer Fortschritt in Richtung mehr Agilität innerhalb des Umstellungsprojektes.

Die Realität zeigt jedoch, dass bei der Aufsetzung eines Prototyps zurzeit noch Ernüchterung auftritt. Nicht jede Prozessvariante wird mit einer neu entwickelten FIORI-App unterstützt. Eine Standardtransaktion in das FIORI-Launchpad einzufügen und den Anwender somit in der alten Transaktion in einer Weboberfläche arbeiten zu lassen, bringt ganz klare Nachteile beispielsweise in Bezug auf Antwortzeiten.  Ein weiterer Aspekt ist das Thema Berechtigung und Rollenvergabe für die jeweiligen Benutzer. Hier müssen im Projekt deutlich höhere Aufwände geplant werden, da sich das Konzept stark geändert hat. Grundsätzlich lässt sich sagen, FIORI hat durchaus das Potenzial, Unternehmen auf ein ganz neues Level zu heben. Diese Entwicklung benötigt jedoch Zeit und intensive Planung.

Sandra: Und wie sieht es mit der Erweiterbarkeit und der Erstellung von kundeneigenen Apps aus?

Wieland: Mit jedem jährlichen Release kommen eine große Anzahl neuer Apps, welche Standardtransaktionen ablösen, auf den Markt. Es empfiehlt sich also die angekündigten Neuerungen vor einem Release-Update zu verfolgen. Die Erweiterung von Standard-Apps ist zum Teil möglich. Ob eine Erweiterung möglich ist, können Fachkundige der sogenannten App-Bibliothek entnehmen.

An der Entwicklung von eigenen Apps wird wohl kaum ein Unternehmen vorbeikommen. Hierbei stellt sich die Frage, inwieweit die eigenen Inhouse-Entwickler, soweit vorhanden, den Weg in das neue Programmierumfeld mitgehen. Hier sehe ich auch ein Generationenproblem. Für junge Fachinformatiker stellt die neue Umgebung und Programmiersprache in der Regel keine Herausforderung dar. Erfahrene ABAP-Entwickler tun sich mit der UI5-Welt oft schwer. Hier können Low-Code-Plattformen wie beispielsweise Neptune eine Alternative darstellen.

Sandra: Kommen wir zu meiner letzten Frage. Wie schaut Fiori in der Praxis aus?

Wieland: Die große Stärke von FIORI liegt in den mobilen Lösungen. Beispielsweise die Erfassung von Prüfergebnissen während des Produktionsprozesses. Hier ist es ohne großen Aufwand möglich, die Ergebnisse am Tablet oder Smartphone zu erfassen. Ich kann mich erinnern, dass noch vor sieben Jahren ein Kunde diese Anforderung mit einem batteriebetriebenen Laptop auf einem Rollcontainer realisierte. Das hat sich mit Fiori wohl erledigt.

 Auch in anderen Bereichen kann sich mit Fiori eine Menge verändern. Der Vertrieb hat mit Management-Dashboards ganz neue Auskunftsmöglichkeiten in Verhandlungen und Einkäufern liegen die wichtigsten Lieferanten-KPIs zum Jahresgespräch direkt und flexibel vor.  Außerdem kann jede Art von Erfassung intuitiver und individueller dargestellt werden.

Abschließend gebe ich Unternehmen den Tipp, bei Prozessanpassungen bzw. -einführungen neue Blickwinkel einzunehmen und das Thema Fiori stets auf dem Schirm zu haben, also direkt miteinzubeziehen.

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